Martin Baumann und Andreas Tunger-Zanetti

Nicht-anerkannte Religionsgemeinschaften: Kaum Angestellte, viel Freiwilligenarbeit

Während die Landeskirchen ihre Strukturen und Tätigkeiten detailliert dokumentieren (müssen), gab es bisher kaum Zahlen zu den privatrechtlich organisierten, «kleinen» Religionsgemeinschaften. Jüngste Erhebungen zu den Kantonen Bern und Luzern ändern dies allmählich. Sie zeigen, wie verschieden Ressourcen und Aktivitäten bei diesen Gemeinschaften sind, je nach religiöser Tradition.

Die Kantone Bern und Luzern haben vieles gemeinsam: Beide sind Flächenkantone und ausserhalb der Zentrumsstädte stark ländlich geprägt, in der Wirtschaft herrschen mittelständische Betriebe vor. Als einst monokonfessionelle Kantone dominieren auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die evangelisch-reformierte Kirche in Bern und die römisch-katholische Kirche in Luzern. Seit den 1980er-Jahren kamen jedoch neben den schon länger etablierten Freikirchen islamische, buddhistische, hinduistische und weitere Religionsgemeinschaften hinzu. Katholische und orthodoxe Migrantenkirchen vergrösserten das innerchristliche Spektrum. Aus Ländern Afrikas und Asiens, dem Nahen Osten und dem Balkan kamen Menschen zum Arbeiten, zur Ausbildung, auf der Flucht vor Verfolgung oder wirtschaftlicher Not. Manche Einheimische wandten sich bewusst neuen religiösen Traditionen zu – ein Ausdruck des Megatrends Individualisierung.

Religionskarten – ländlich blau, städtisch bunt

Praktiziert werden die hinzugekommenen Religionen in zumeist privatrechtlich organisierten Gemeinschaften. Diese gründeten seit den 1990er Jahren Gebetsräume, Moscheen, Tempel und Zentren in umgewidmeten Wohnungen und Gewerbegebäuden, von aussen oft nicht erkennbar und in den Randgebieten der Städte gelegen. So bestehen in der Stadt und Agglomeration von Bern zum Beispiel zehn buddhistische und sieben islamische Gemeinschaften, im Raum Luzern sieben buddhistische und neun islamische. Dies zeigen anschaulich die Religionskarten zu den Kantonen Bern und Luzern auf (siehe Links am Artikelende). Sie kartografieren die räumliche Verteilung so aktuell und vollständig wie möglich – keine einfache Aufgabe, da sich das Feld dauernd wandelt und einzelne Gemeinschaften nicht verzeichnet werden möchten.

Städtische Gebiete sind bunt, weil dort viel mehr verschiedene Gemeinschaften anzutreffen sind

Die zahlreichen Informationen zu den rund 600 Kirchgemeinden und Religionsgemeinschaften im Kanton Bern erarbeitete die Stelle des kantonalen Beauftragten für kirchliche und religiöse Angelegenheiten, diejenigen zu den 222 religiösen Gruppen und Kirchgemeinden im Kanton Luzern das Religionswissenschaftliche Seminar der Universität Luzern. Es zeigt sich: In ländlichen Regionen dominieren die Blautöne für Kirchgemeinden und christliche Gruppen, städtische Gebiete sind bunt, weil dort viel mehr verschiedene Gemeinschaften anzutreffen sind. Die zwei Institutionen verzeichnen aber nicht nur Name und Ort der Gemeinschaften, sondern befragten die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften auch zu ihren personellen Ressourcen und ihren Tätigkeiten.

Viele Freiwillige bei begrenzten Finanzen

Im Kanton Bern bestanden insgesamt 328 privatrechtliche Religionsgemeinschaften. Den von ihnen gepflegten religiösen Traditionen lassen sich rund 12 Prozent der Berner Bevölkerung zuordnen, auch wenn sie bei weitem nicht immer Mitglied in einer dieser Gemeinschaften sind. Im Kanton Luzern bestehen insgesamt 70 privatrechtliche Gruppierungen unterschiedlicher religiöser Traditionen und knapp 11 Prozent der Bevölkerung sind ihnen zuzurechnen. In beiden Kantonen machen Freikirchen rund 45% dieser Gemeinschaften aus. An den Befragungen nahmen 68% (Bern) bzw. 70% (Luzern) der Gruppen und Gemeinschaften teil, beides kann als guter Wert gelten.

Die personelle Situation ähnelt sich in beiden Kantonen und gilt generell für privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften in der Schweiz: Viele Freiwillige unterstützen die wenigen Angestellten, Freiwilligenarbeit ist demnach sehr wichtig. Wie die Umfrage für Bern zeigt, unterteilt sich die Mitarbeit in den Gemeinschaften in etwa ein Drittel bezahlte und zwei Drittel freiwillige Mitarbeit. Das ist jedoch nur der Durchschnitt.

Beim Bau von Moscheen helfen viele Gemeinschaftsmitglieder mit ihrem handwerklichen Fachwissen. Bild: iStock/Claudine Silaho Weber-Hilty

Die durchschnittliche christliche Freikirche verfügt über mehr finanzielle Mittel und bezahlt mehr Arbeitsstunden als die durchschnittliche nichtchristliche Gemeinschaft. Die Berner Umfrage zeigt überdies anschaulich, wie unterschiedlich sich die Einkünfte der Gemeinschaften je nach religiöser Tradition zusammensetzen: So machen etwa bei muslimischen Gemeinschaften Mitgliederbeiträge mehr als die Hälfte aus, bei Hindugemeinschaften hingegen Spenden, auch Entschädigungen für religiöse Rituale fallen gerade bei den Hindus ins Gewicht (vgl. weitere Beiträge zum Stichwort Finanzierung).

Da Gemeinschaften nur wenige Personen für ihre Dienstleistungen und Angebote anstellen können, sind sie auf Freiwilligenunterstützung angewiesen.

Auch im Kanton Luzern haben eher einmal jüdische und freikirchliche Gemeinschaften Personal für kultische und beratende Tätigkeiten angestellt als islamische, buddhistische oder hinduistische Gruppen. Der Grossteil der Gemeinschaften kreuzte bei der Frage nach dem Gesamtpensum aller angestellten Personen die Kategorie «10 bis 90 Prozent» an, oftmals aufgeteilt auf mehrere Personen.

Da Gemeinschaften nur wenige Personen für ihre Dienstleistungen und Angebote anstellen können, sind sie auf Freiwilligenunterstützung angewiesen: 41 Prozent der Gemeinschaften, die an der Umfrage teilnahmen, werden von vier bis zehn Personen mindestens einmal im Monat unterstützt; bei 35 Prozent der Gemeinschaften sind es elf oder mehr Personen. Demnach benötigen drei Viertel der Religionsgemeinschaften im Kanton Luzern vier oder mehr freiwillig Unterstützende, um ihr Angebot aufrecht zu erhalten. Der hohe Grad an Freiwilligenarbeit verweist zugleich auf die zumeist eingeschränkte finanzielle Situation vieler privatrechtlich organisierter Religionsgemeinschaften.

Im Angebot: von Ritual bis Freizeit

Das Angebot der Gemeinschaften ist vielfältig. Den Kern bildet fast immer das regelmässige Durchführen religiöser Rituale und Feiern. In beiden Kantonen findet sie bei neun von zehn Gemeinschaften täglich oder wöchentlich statt. Ein Grossteil insbesondere der christlichen und muslimischen Gemeinschaften bietet zudem persönliche Beratung, Religionsunterricht sowie Freizeitaktivitäten an. Ergänzt werden diese Angebote, wie die Luzerner Befragung ergab, insbesondere bei Freikirchen durch Kurse wie Bibel-, Glaubens- und Eheseminare, bei den anderen Gemeinschaften vereinzelt durch Begleitung zu den Behörden oder die Pflege der Herkunftskultur.

Auch im Kanton Bern pflegen nichtchristliche Gemeinschaften in der Tendenz häufiger als christlich-freikirchliche den interreligiösen Dialog.

Zielen alle genannten Angebote vornehmlich auf die Mitglieder, so gibt es auch Angebote für Personen ausserhalb der Gemeinschaft. An Führungen informieren im Kanton Luzern insbesondere muslimische, buddhistische, hinduistische und jüdische Gemeinschaften Aussenstehende über sich und ihre Religion; etwa vier von zehn christlichen, islamischen, jüdischen, buddhistischen und hinduistischen Gemeinschaften beteiligen sich zudem an Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen sozialen, kulturellen oder religiösen Organisationen. Auch im Kanton Bern pflegen nichtchristliche Gemeinschaften in der Tendenz häufiger als christlich-freikirchliche den interreligiösen Dialog. Ein wichtiger Grund dürfte sein, dass nichtchristliche Gemeinschaften im städtischen Raum konzentriert sind, die vielen Freikirchen hingegen über den gesamten Kanton verteilt. Hinzu kommt, dass die Organisatoren interreligiöser Dialogrunden, sehr oft landeskirchliche Vertreter und Vertreterinnen, meist eher die ausser- als die innerchristliche Vielfalt abbilden möchten. Immer wieder werden daher dieselben wenigen nichtchristlichen Gemeinschaften eingeladen, nicht hingegen die Verschiedenheit der ‹Christentümer›.

Corona-Pandemie – Folgen anders als erwartet

In Luzern fragte das Forschungsteam zudem nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Als der Bundesrat 2020 und 2021 auch religiöse Versammlungen zeitweise stark einschränkte, traf dies viele Gemeinschaften sozial und vor allem finanziell hart. Anders, als man erwarten würde, gab 2023 ein Drittel der Gemeinschaften an, nach der Pandemie über mehr anstatt weniger Mitglieder zu verfügen als zuvor. Nur jede zehnte Gemeinschaft verzeichnet einen Rückgang an Mitgliedern. Auch nehmen bei 35 Prozent der Gemeinschaften heute mehr Personen an den regelmässigen Feiern teil als vorher, 24 Prozent melden einen Rückgang.

Es bieten vier von zehn Gemeinschaften mehr digitale Angebote als vor der Pandemie an.

Es bieten vier von zehn Gemeinschaften mehr digitale Angebote als vor der Pandemie an. Dieses können das Streamen von religiösen Feiern, Religionsunterricht im Podcast oder Seelsorge via Zoom-Sitzung sein. Doppelt überraschend ist, dass 16 Prozent der Religionsgemeinschaften angeben, über mehr finanzielle Mittel aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden zu verfügen, und nur eine von zehn Gemeinschaften über weniger Mittel verfügt. Die Corona-Pandemie hat das Engagement und den Grad der Verbindlichkeit für die eigene Gemeinschaft offensichtlich mancherorts gestärkt – weitere Forschungen drängen sich hierzu auf.

Durch Informationen ausserhalb der Umfrage ist zwar für den Kanton Luzern bekannt, dass sich während der Pandemie Gemeinschaften aufgelöst haben. Dies betraf insbesondere mehrere zuvor schon sehr kleine buddhistische Gruppen sowie überalterte Kreise rund um charismatische Persönlichkeiten. Beide Segmente des Spektrums wie auch dasjenige der migrantisch geprägten Freikirchen sind jedoch generell sehr dynamisch. Die Pandemie hat diese Dynamik also lediglich vorübergehend gedämpft.

Bisherige Erkenntnisse bestätigt

Auch wenn die Umfragen in Bern und Luzern nicht genau dieselben Fragen stellten, so weisen die Ergebnisse in dieselbe Richtung und bestätigen bisherige Kenntnisse aus vergleichbaren Kontexten: Privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften sind in hohem Masse auf Freiwilligenarbeit angewiesen, da die finanziellen Ressourcen zumeist knapp sind. Am ehesten können sich Freikirchen angestelltes Personal leisten, da bei ihnen Mitgliederbeiträge und Spenden reichlicher fliessen als bei anderen Gemeinschaften. Grund dafür könnte die theologische Empfehlung der Spende des Zehnten sein, aber vermutlich auch die bessere sozioökonomische Stellung.

Insgesamt zeigt sich, dass die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften neben den religiösen Anlässen als ihrem Kerngeschäft ein sozial und kulturell vielfältiges Angebot pflegen, sowohl für ihre Mitglieder als auch oft darüber hinaus, wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten. Religionslandkarten und Erhebungen helfen, diese Befunde und die Gemeinschaften selbst stärker in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Religionslandkarten

«Religionslandkarte», Bern: Beauftragter für kirchliche und religiöse Angelegenheiten, o. J. [2021]. Online.

«Religionsvielfalt im Kanton Luzern» [Dokumentationsprojekt], Luzern: Universität Luzern, Religionswissenschaftliches Seminar, 2023. Online.


[*] Die Verfasser danken Frau Lynn Allenbach für die sorgfältige Aufbereitung der Umfrageergebnisse aus dem Kanton Luzern.

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Autoren

  • Martin Baumann und Andreas Tunger-Zanetti
  • Andreas Tunger-Zanetti

    Geschäftsführer des Zentrums für Religionsforschung an der Universität Luzern ||| Dr. Andreas Tunger-Zanetti studierte Islamwissenschaft, Orientalische Sprachen und allgemeine Geschichte an der Universität Bern. Sein Promotionsstudium erfolgte dann in Freiburg i.Br. und Tunis. Er promovierte mit einer Dissertation über die Beziehungen zwischen Istanbul und Tunis zwischen 1860-1913. Seit 2007 ist er Geschäftsführer des Zentrums für Religionsforschung an der Universität Luzern.

  • Martin Baumann

    Professor für Religionswissenschaft an der Universität Luzern ||| Martin Baumann ist ordentlicher Professor für Religionswissenschaft an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Er forscht und lehrt zu den Themen Immigration, religiöse Gemeinschaften und gesellschaftliche Integration, Religionsvielfalt und hinduistische und buddhistische Traditionen im Westen.

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